Das hässliche Entlein
Für ganz kleine Zuschauer ab 2 Jahren. Ausgezeichnet zum Theater des Monats Februar 2011 in NRW.

Kritiken

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG 09.10.2008

Und irgendwo keimt Hoffnung – von Sarah Ehrmann

„Das hässliche Entlein“ im Freien Theaterhaus

Mit weit ausgebreiteten Armen liegt die Entenmutter auf einem Riesenei, scheint ihr ungeborenes Küken schützen zu wollen vor der Außenwelt, vor den Spöttereien der anderen, vor der klirrenden Kälte des Winters. „Das ist ein Putenei, lass es liegen und kümmere dich um deine Küken“, rät eine Bekannte. Doch dann beginnt das Ei hin und her zu wippen, über die graue, eierförmige Linoleumbühne im Freien Theaterhaus Frankfurt zu rollen – und spuckt das hässliche Entlein schließlich völlig zerzaust ins Leben hinaus.

Liora Hilb, Produzentin des „Theater La Senty Menti“, spielt das anfangs zerknautschte, hilflose Küken, das sich zunehmend besser in seiner Welt zurechtfindet, mit so viel Wärme und Einsatz, dass die Kindergartenkinder auf den Stoffbänken unbewegt und ohne zu blinzeln auf die Bühne starren. Dort präsentiert sich ihnen eine Welt, die sie kennen: Planschen mit Wasser in den Gummistiefeln, ständig aufspringende Druckknöpfe an einem Regenmantel und ein Toilettenpömpel, der im Spiel von der Saugglocke zum Fernrohr, Stützpfeiler oder Kletterhaken wird.

„Das hässliche Entlein“, frei nach den Werken von Hans Christian Andersen, ist diefünfte gemeinsame Kindertheaterproduktion von Liora Hilb und Ania Michaelis (Regie) und kommt fast ohne Text aus. Musikalische Motive und eine Phantasiesprache aus onomatopoetischen Lauten nehmen die Kinder an die Hand und leiten sie durch einen Jahreszyklus. Gelbes, orangefarbenes, weißes und grünes Konfetti stellt die Jahreszeiten dar und gliedert das Stück in vier Stimmungen. Gelb steht für den unschuldigen Zauber, der allem Anfang innewohnt. Orange für die Zeit des Spiels, des Selbstsicherwerdens, des Mutes. Weiß für die Verzweiflung über den vermeintlichen Tod des Freundes und Alter Egos, der Fingerpuppe „Hatschu“ mit der dunklen Wollmähne. Grün für die wiederaufkeimende Hoffnung, die durch „Hatschus“ Erwachen Gestalt annimmt.

Hilbs Spiel enthält Elemente des Abstrakten und zeigt Bilder, Assoziationen, Gedankensplitter über groß und klein, hässlich und schön, Trauer und Freude. Das Entlein, der Außenseiter, das sich seine eigene Welt aus Bruchstücken des Rieseneis selbst erstellt und irgendwann den Kindergummistiefeln und dem von Anfang an zu kleinen Regenmantel entwächst, ist ein Abbild des täglichen Prozesses der Selbstfindung, der Selbstverwirklichung und des verbotenen Reizes der Grenzüberschreitung.


FRANKFURTER RUNDSCHAU 06.10.2008

Im Trockenen – von Tanja Runow

Ania Michaelis‘ Inszenierung von Andersens Kunstmärchen (für Kinder ab drei Jahren) lebt vor allem von einfachen, originellen Bildern. Zuerst lässt sie Liora Hilb, die einzige Darstellerin, aus einem riesigen Ei schlüpfen, am Ende lernt diese fliegen. Aber das war es auch schon an Anspielungen auf das Enten-Dasein. Schnell ist klar: die Geschichte, die Michaelis und Hilb hier erzählen wollen, ist eine andere, als Andersen sie erzählt. Hier geht es nicht um jemanden, der zum schönsten Schwan des Teichs aufsteigt, sondern um eine, die von einem ziemlich unzufriedenen jungen Ding zu einem zufriedeneren wird; die sich bei allem Chaos ein Plätzchen findet, wo sie bleiben mag.

Am Anfang der kurzen Szenenfolge stehen noch Bilder des Unwohlseins: ein zu enger Regenmantel, nasse Gummistiefel, die Einsamkeit auf einer leeren Bühne. Dann werden erste Experimente unternommen, die Hilflosigkeit wird überwunden, ein Freund taucht auf. Gesprochen wird bei all dem viel, allerdings in einer fantastischen Lautsprache, ein Experiment: „Unsere Stücke haben ja sonst sehr von Sprachpoesie gelebt“, erklärt Hilb zu ihrer fünften Kinderproduktion mit Ania Michaelis, „deshalb war es sehr aufregend zu sehen, ob es auch anders gehen könnte.“

Dass es geht, zeigt sich nach wenigen Minuten. Da beginnen Zuschauer, eigene Wortschöpfungen auf die Bühne zu rufen, manche übernimmt Hilb. Als sie schließlich nach geglücktem Flugversuch vergnügt vor ihrer Eierschale sitzt wie vor einem Zelt und – trocken und von den zu engen Kleidern befreit – ein Picknick auspackt, wirkt das so einladend, dass die Kinder die Bühne stürmen und sich über die Schnittchen hermachen. Was das Stück vermittelt ist Zuversicht: Wenn man sich nicht gleich aus der Ruhe bringen lässt, wird das mit dem Älterwerden schon ganz gut klappen.