Die mutige Martina
Ausgezeichnet als bestes Stück der Kinderkulturtage 2006 in Wiesbaden. Kritiker- und Publikumspreis

Kritiken

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.04.2006

Mutiges Mädchen auf Traumreise

Das bühnenraumgreifende Oval des Himmelbetts leuchtet blau aus dem Dunkel wie ein Planet, und für Martina ist es tatsächlich die Welt, oder zumindest die Mitte davon. Wenn sie die Augen schließt, kommt das große Abenteuer von allein zu ihr – zuerst in Form der Bettdecke, deren Zipfel zum Kopf eines Monsters wird. Da sind Hexe und drei Mutproben nicht mehr weit, schon ist das Mädchen auf der Traumreise, versteckt sich hinter der Decke, die erst Tanne ist, dann Heuhaufen.

Das Märchen „Die mutige Martina“ von Ania Michaelis, in der Inszenierung vom Theater La Senty Menti jetzt im Frankfurter Theaterhaus zu sehen, operiert mit dem Inventar der Kindergeschichten, neben Hexe und Ungeheuer ist noch ein Drache dabei. Dabei werden die spielerischen Schemata aufgehoben, etwa die Gegenspieler nicht besiegt, sondern zu Freunden und Verbündeten umfunktioniert. Unter der Regie von Ania Michaelis trotzt die Schauspielerin Liora Hilb jedem Albtraum mehr mit Vorwitz als Witz. Wenn sich ein plüschiger Unterrock als leuchtendes Gespenst, ein Regenschirm als furiose Waffe oder eine Kapuze als schuppiges Reptil beleben, bekommen kindliche Phantasien greifbare Konturen. Die dramatisierte Gutenachtgeschichte ist den Lern- und Unterhaltungsbedürfnissen der Kinder von drei Jahren an verpflichtet. Ein launiger Wegweiser für Entdecker, die am Anfang ihrer Erfahrungen stehen, die zwischen Überraschung und Übermut die Balance finden müssen.


Frankfurter Neue Presse 03.04.2006

Bekanntschaft mit einem Ungeheuer

Das Theater La Senty Menti begeisterte mit der Uraufführung des Stücks „Die mutige Martina“ im Theaterhaus die jüngsten Zuschauer.

Ach, muss das wundervoll sein, wenn man noch in dem Alter ist, in dem man sich unverschämt selbstbewusst für den Mittelpunkt der großen, weiten Welt hält. Jede Menge Abenteuer laufen im Kopf ab; und auf Streit folgt unmittelbar und nahezu selbstverständlich freudestrahlende Versöhnung. Die Frankfurter Schauspielerin Liora Hilb turnt auf der Bühne im rosa Nachtgewand auf einem großflächigen Bett herum und macht mit einem Ungeheuer Bekanntschaft, das sie im Handumdrehen mit viel Geschicklichkeit aus einem grünen Schmusekissen formt. Die Begeisterung der Zuschauer kennt keine Grenzen. Zwar belehren die Drei- und Vierjährigen in den ersten Reihen des Theaterhauses die Schauspielerin anfangs noch, weil sie es ja besser wissen: „Das ist doch bloß ein Kissen“ – doch lassen sie sich all zu gern überzeugen, dass alles anders ist. Und somit allerhand wunderliche Dinge passieren werden. Wie etwa jene Begegnung mit dem Ungeheuer, die Hilb charakteristisch schildert und darstellt. Im Zweikampf schimpft und windet sie sich auf dem Boden. Das grüne Monster hat allerhand Unfug im Sinn. Es überbringt „einen Gruß von der Hexe Pus“: Martina müsse hinaus in die Welt und mindestens drei Abenteuer bestehen. Meint das Ungeheuer. Und das, obgleich „die mutige Martina“ doch gar nicht so couragiert ist. Und viel lieber im warmen Bett getobt hätte. Oder überwiegt doch die Abenteuerlust?

Die folgenden witzigen Episoden unter Regie von Ania Michaelis sind mit schauspielerischer Verwandlungskunst präzise verbunden. Mal schlüpft Liora Hilb in eine Drachenhaut. Mimt das lispelnde Getier, als Martina ihm einen Zacken ausreißt. Wie gemein, ausgerechnet seinen Lieblingszacken! Im fliegenden Wechsel tauscht die Akteurin die Rollen. Anschließend ist Hilb wieder die „mutige Martina“, abwechselnd fluchend und flirtend, sich zerstreitend und wieder versöhnend. Sogar als Hexe Pus persönlich erscheint sie. Zur Freude des Publikums tritt die Hexe im kessen roten Can-Can-Look auf und wagt ein Tänzchen, als wäre sie just dem Moulin Rouge entsprungen. Der atemlose Erzählfluss dieser netten Geschichte über ein abenteuerlustiges Mädchen und dessen berauschende Traumwelt ist ein besonderes Theatervergnügen.


Frankfurter Rundschau 03.04.2006

Die Hexe im Regenschirm

Auch im eigenen Bett ist der Mensch nicht sicher. Unausdenkbar ist tagsüber und unausdenkbar ist für einen Erwachsenen, wie gefährlich ein Deckenzipfel in der Nacht sein kann, wenn man zum Beispiel vier Jahre alt ist: Monster, Drache, eine fremde Person, die man auch gar nicht gerne im Bett neben sich haben will. Es gibt aber Menschen, die sich das merken. Ania Michaelis zum Beispiel. In ihrem neuen Kindertheaterstück wird ein Mädchen namens Martina von ihrem Deckenzipfel fies angegangen: Raus soll sie in die Welt und drei Abenteuer bestehen und sich vorher nicht mehr blicken lassen. Das Publikum muss sich jedoch nicht zu große Sorgen machen. Martina sagt zwar, sie sei nicht mutig, das Stück heißt aber Die mutige Martina.Die Autorin selbst führt Regie in der Inszenierung im Theaterhaus Frankfurt. Martina ist die Schauspielerin Liora Hilb, die sich bei der Arbeit „Theater La Senty Menti“ nennt. Sie und Michaelis haben schon manches Mal zusammengearbeitet, zuletzt bei „Noch mal“ im vergangenen Herbst. Diesmal haben Natalia Haagen und Anke Lenz eine behagliche Bett-Haus-Fläche gebaut, einen wattierten Stoffkreis der in der Mitte senkrecht geklappt ist. Das ist auch ein See, eine Landschaft, der Himmel, und dahinter kann man sich verstecken, sehr praktisch. Liora Hilb zeigt uns nun, wie man eilig voranschreitet, ohne mehr als einen Meter zurückzulegen. Sie kommt in den Wald, besiegt einen Drachen, der ihre eigene Kapuze ist, gewinnt sein zartes Drachenherz, und trifft dann ihre eigentliche Gegnerin: Die Hexe Pus, eine rotgerüschte Can-Can-Tänzerin. Zeitweise versteckt sie sich in Martinas Regenschirm, aber sie steckt auch in Martina selbst, der flammend roten Innenseite ihres rosa Nachthemdes nämlich.

Selbstverständlich löst Martina auch dieses Problem. Zum Happy End, nicht nach drei, sondern mindestens fünf Abenteuern, liegt sie beneidenswert wohlig im Bett. Was soll ein Deckenzipfel ihr noch anhaben. Das Premierenpublikum, das nicht alle von Martina Fantastereien ohne weiteres wegsteckte – das sei doch eine Decke, keine Tanne, keine Wolke, kein Heuhaufen -, wurde doch ganz stille, als die Hexe auftauchte.